Wettbewerb | Fortsetzungsroman
Der Wanderzirkus
Kapitel I
Versehentlich war der Wanderer in das kleine Dorf geraten.
Abgekommen vom Wege, verirrt geradezu stolperte er an jenem
naßkalten 12. April in den Schankraum des spärlich
beleuchteten Gasthofes und blickte in sechs Paare wachsamer
Augen. „Schau, schau“, ließ sich eine brummige Stimme
hinter dem Tresen vernehmen, die zweifellos zu einem siebten
Augenpaar gehörte, und der Wanderer hatte gerade noch genug
Zeit, bei sich zu denken „Sie schaun doch!“, bevor ihn ein
unsanfter Schlag auf den Hinterkopf jäh in die
Bewußtlosigkeit entließ. Als er wieder zu sich kam, schrieb
man bereits den 13. April.
Kapitel II
Ein Specht klopfte an sein Stirnbein auf der Suche nach
fetten Maden, einem mageren Käfer zumindest. Er suchte nach
seinen Händen, um dieser Ungeheuerlichkeit ein Ende zu setzen,
fand sie mühsam, hiefte sie in Richtung Kopf, sie faßten
keine Krallen, nichts Fiederhaftes, nur eine riesige Beule, aus
der bei der Berührung gleißendes Licht explodierte.
Stechender Schmerz durchfuhr den Körper in Achterbahnen. Na,
höhnte eine verschwommene Stimme, ausgeschlafen? Eine
unbestimmte Leere begann, sich in ihm auszudehnen. Wo war er
und warum? Er vermißte jemanden, aber wen? Er versuchte, in
dem Knäuel, in dem er verheddert war, einen Anfang zu finden.
Einzelne Wörter tauchten auf, Herr Direktor, spätestens
April, letzte Chance. Ein Affe schwang auf einem Trapez, und
dicke Flöhe sprangen wild durcheinander. Eine unförmige
Gestalt versuchte, sie wieder in einen löchrigen Sack zu
stopfen. Bestimmt war er halb tot, abgestürzt, und letzte
Gedankenfetzen irrten in seinem ausgeisternden Kopf herum. Er
spürte, wie der Körper mit panischen Gefühlen arbeitete,
sein Inneres blieb ruhig, hörte auf das Klopfen des Herzens,
das Pulsieren des Blutes. Der pochende Schmerz drängte sich
wieder in den Vordergrund. Bildfragmente bauten sich vor ihm
auf, zerfielen wieder, ein ausgebleichter Film mit geklebten
Stellen, die prompt wieder rissen. Die Zunge hing schwer im
Mund, konnte am Schnaps liegen oder war es tatsächlich
Wassermangel. Wie schmeckte Wasser? Er versuchte, sich zu
erinnern. Er spürte seine Finger langsam wieder. Der Boden
unter ihm schien hart und trocken. Draußen lag er offenbar
nicht. Eine Temperatur konnte er nicht einschätzen. So weit
war er noch nicht. Der Satz kam ihm bekannt vor. So weit sind
wir noch nicht. Das hatte doch diese Frau gesagt. Diese Frau
mit den langen Haaren, zu einem dicken Zopf geflochten. Sollte
nicht sie hier mit ihm sein? Oder hatte sie ihn geschickt. Er
stöhnte. Was für ein Durcheinander in seinem Kopf, die
Nervenbahnen waren immer noch dabei, die alte Ordnung in seine
Glieder zu bringen. Eine dumpfe Erinnerung an einen steilen Weg
kam heran, entfernte sich wieder, eine Frau winkte. Zum
Abschied oder ihn näher heran? Sein Körper schien sich wieder
zu einem Ganzen zu fügen, er spürte plötzlich jeden Knochen
einzeln, und kalte Luft, Zugluft, als läge er in einem
Vogelkäfig direkt auf dem Drahtgeflecht. Der Specht kam ihm
wieder in den Sinn, die roten und schwarzen Federn. Trug nicht
die Frau einen Hut mit Federn? Ah, was für eine Schwere
überall. Er begann seine Beine zu bewegen, die Arme, versuchte
sich aufzusetzen, der Kopf wog zentnerschwer. Noch drei tiefe
Atemzüge, dachte er, dann gegen die Schwerkraft des Schmerzes
auf, auf. Ein Strom aus Geräuschen drang zu ihm vor, sortierte
sich auseinander. Stimmen, Geschirrgeklapper, schabende Laute.
Etwas Feuchtes, Rauhes bearbeitete seine Wange, ja, er spürte
seine Wange wieder und roch, verdammt, ein elend stinkendes
Hundemaul. Er fuhr hoch, bereute sofort die überstürzten
Bewegungen. Er schipperte bei hohem Wellengang auf wackeligen
Planken, wäre etwas in seinem Magen gewesen, es hätte sich
abrupt entfernt. Er hielt sich an dem Holz fest, sah einen
Tisch über sich schwanken, Stühle drum herum tanzen. Er
versuchte sich zu konzentrieren, erst aufs Ein- und Ausatmen,
dann befahl er den Stühlen still zu stehen, was sie langsam
taten – oder war nur der Seegang ruhiger. Wo ist hier der
Kapitän?, brüllte er, in plötzlicher Zuversicht, daß er
hier etwas zu sagen hatte. Eine Frauenstimme lachte schrill
auf. Paß auf, daß du nicht gleich wieder über Bord fällst.
Er hörte Gemurmel, konnte nichts sehen, war er blind geworden
oder waren die Augenlider aus Blei gegossen. Er versuchte,
zumindest das rechte Lid aufzustemmen, nur einen Schlitz weit.
Erste Schemen waren zu erkennen. Das Schiff war seltsam
ausgestattet. Offenbar war er unter Deck. Er konnte keinen
Himmel ausmachen, das Wellenrauschen fehlte und der Geruch nach
Salz.
To be continued ...
... und zwar von Ihnen, werte Leser und Autoren:
Wenn Sie eine zündende Idee haben und die Geschichte
fortspinnen möchten, schreiben Sie
uns einfach bis zum 17. Mai 2018.
Die Ausschreibung ist beendet.
Ihre ganz persönliche Fortsetzung dieses Romans in Form eines
dritten Kapitels.
Inhaltlich gibt es keine Beschränkungen, formal müßten Sie
sich mit höchstens 4000 Zeichen begnügen.
Die beste Fortsetzung wird mit ihrem Abdruck im nächsten Heft
sowie drei Freiexemplaren prämiert. Und da »Der Dackel« als
Langzeitprojekt angelegt ist, soll auf diese Weise ein
wunderbarer, jedenfalls aber außergewöhnlicher Roman
entstehen, der aus vielen verschiedenen Stimmen zusammengewebt
ist.
Wettbewerbssieger
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